Historisches zum Hohen Weg 2

Das Gerberhaus im Hohen Weg 2 in Halberstadt wurde, wie eine Inschrift über der Toreinfahrt bezeugt, im Jahre 1620 erbaut. Es wurde unmittelbar an die schon bestehende Mühle (Hoher Weg 1 von 1594) angebaut und bildete mit ihr ein Ensemble. Das Gerberhaus war für den Gerber Werkstatt, Verkaufsladen und Wohnhaus zugleich, was heute noch am Grundriß und Erscheinungsbild deutlich ablesbar ist.

Eine vollwertige Gerberei war bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts im Hause in Betrieb, bis ca. 1950 wurde die Tradition in Form einer Lederhandlung aufrechterhalten. Um einen möglichst breiten Publikum Zugang zu diesen wunderschönen und einmaligen Räumlichkeiten zu gewährleisten, haben sich die heutigen Eigentümer für die jetzige Nutzung entschlossen.

Das Haus wurde von den heutigen Eigentümern in einem völlig verwahrlosten und zum Teil einsturzgefährdeten Zustand übernommen. Sämtliche Sanierungs- und Restaurationsarbeiten wurden ohne öffentliche Fördermittel finanziert.


Das Erdgeschoß

Im Erdgeschoß, dessen ursprünglicher Grundriß noch nicht eindeutig rekonstruiert werden konnte, wird im vorderen Bereich der Verkaufsraum gewesen sein. Bis 1950 war das von hier aus erreichbare Zwischengeschoß mit den Büroräumen des Gerbers erhalten. Teile davon sind noch zu erkennen. Die heute in der Gaststätte eingebaute Galerie soll an die alte Situation erinnern.

Im hinteren Bereich des Erdgeschosses befindet sich die ehemalige Werkstatt des Gerbers, mit der alten ‘Schwarzen Küche’—eine große Esse über der ehemaligen Kochfeuerstelle. Hier waren die Gruben der Gerberei, in der die Häute bis zu einem Jahr lang in einer Lauge gegerbt wurden. Für den Gerbprozeß waren damals nicht Chemikalien, sondern Eichenrinden verwendet worden; die Eichenrinden wurden für den Gerbprozeß in der Mühle nebenan gemahlen. Diese war keine Getreidemühle, sondern eine sogenannte ‘Lohmühle’ und ein Teil der Gerberei.

Das erste Obergeschoß

Im ersten Obergeschoß waren die Wohn- und Repräsentationsräume des Gerbers. Der Grunriß ist typisch für solche Bürgerhäuser: ein großer Saal flankiert von kleineren Räumen oder Stuben. Der große Saal ist stets besonders aufwendig ausgestaltet worden, allerdings nicht, wie heute, mit vornehmen Mobiliar. In dieser Zeit waren Möbel noch recht unüblich—man hatte höchstens einen Tisch und eine Handvoll Stühle sowie eine oder zwei Truhen für Wertgegenstände. An Stelle von Möbeln wurden de Decken, Balken und Wände mit zum Teil aufwendigen Malereien geschmückt.

Die weiteren Obergeschosse

In den weiteren Obergeschossen befinden sich noch die von außen sichtbaren, gewaltigen Dachböden, die noch einer Erklärung bedürfen. Hier waren die großen Trockenböden der Gerberei. Nachdem die Häute in der Lohe, das heißt im Eichenrindensud in den Gruben fertig gegerbt waren, wurden sie auf Rahmen gespannt und in die damals am Haus vorbeifließenden Holtemme (Seitenarm, 1903 verschlossen) gestellt.

Danach wurden die Häute auf Stangen aufgehängt und, nachdem sie erstmals am Ufer des Grabens genügend abgetropft waren, in einen der Trockenböden gebracht. Die langen Schleppgauben, die Sie noch am Dach sehen können, sind mit vielen Lucken versehen. So konnte der Gerber den Luftstrom im Dachboden, je nach Wetterverhältnissen, genauestens kontrollieren—eine kniffelige Arbeit, denn: War der Luftstrom zu stark, trockneten die Häute zu schnell und wurden somit brüchig, war er aber zu schwach, trockneten sie zu langsam und wurden schimmelig.




© Dr. Cornelia Oefelein, Kremmen